"Ödipus" von Johann Kresnik in Heidelberg
Es bleibt nicht hei einem Mord. Kresnik erzählt zwar die Tragödie des Sophokles so, wie sie im Buche steht, erfindet zugleich jedoch für seinen Ödipus immer wieder neue Tötungssituationen: Der Sohn, selbst Opfer, kommt von seiner Blutschuld, von seiner Blutschande nicht mehr los. Eine Tat zieht die andere nach sich. Ein ewiger Kreislauf, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nicht einmal des Rätsels Lösung, von der Sphinx gefordert, schafft für einen Augenblick Erleichterung. Auf Krücken bewegt sie sich blindlings vorwärts, drei behinderte Mediziner mit fratzenhaften Gesichtern hinter dicken Brillengläsern: Spukgestalten aus dem Schreckenskabinett des Gottfried Helnwein.
Der szenische Anteil des österreichischen Malers ist evident. Wie schon beim "Macbeth" vor einem Jahr hat Helnwein Bild- und Kostümideen in das Choreographische Theater seines Landsmanns eingebracht, die dem Stück eine neue und durchaus diskutable Dimension geben: Das Spiel mit den Stahltüren, die ausgewählten Farben, überhaupt die Konzentration auf starke Bildsymbole wie Axt, Blutlaken, Tisch, Stuhl und Stock ermöglichen nämlich eine Dichte, die andere Kresnik-Kreationen nicht immer besessen haben. Der Heidelberger Ballettchef deklariert denn auch seinen «Ödipus» nachträglich als Teil einer Trilogie, die mit "Macbeth" begann und mit einem «Lear», vielleicht aber auch mit "Richard III." an seiner künftigen Arbeitsstelle, in Bremen, endet und das Thema Macht jeweils am Fall einer Familie unterschiedlich interpretiert.
Neue Züricher Zeitung , 11. April 1989, CHOREOGRAPHISCHES THEATER